Verborgene Pfade und alte Legenden: Shikokus einzigartige Schönheit

Lebende Legende im Iya-Tal, Iya

Verfasst von Jan Flörecke am 29.10.2024

Shikoku, die kleinste der 4 Hauptinseln Japans, hat schon lange mein Herz erobert. Während meines Auslandsjahres in Okayama hat mich vor allem die berühmte Seto-Inlandsee, welche sich zwischen der größten Hauptinsel und Shikoku befindet, mit ihren mehr als 700 Inseln immer wieder von der Stadt zur Küste gezogen. Bekannte Inseln wie Naoshima, Teshima und auch der Shimanamikaido-Radweg befinden sich dort und doch reizte mich es sehr, Fuß auf die große Insel zu setzen.

Nach einem kleinen Abstecher in Tokyo landete ich am Abend in Matsuyama. Dort empfing mich mein Freund und Reiseleiter Isao und wir fuhren zu unserem ersten Stop, das älteste Thermalbad Japans - Dogo Onsen. Laut Legende badete dort einst eine erkrankte Gottheit und regenerierte sich daraufhin wieder innerhalb kürzester Zeit. Der jüngeren Generation dürfte das Dogo Onsen Honkan aus dem Animationsfilm „Chihiros Reise ins Zauberland“ von Hayao Miyazaki bekannt vorkommen. Wir aßen in einem örtlichen Izakaya zu Abend und genossen den leckeren Sake und die feinen Meeresfrüchte Shikokus.

Bevor es am nächsten Tag weiterging, machte ich noch einen kurzen Stop an einem Laden, welcher am Abend zuvor bereits mein Interesse geweckt hatte. In der Präfektur Ehime gibt es nämlich ein Sprichwort: „Ehime hat 3 Wasserhähne: Aus einem Hahn fließt kaltes Wasser, aus einem fließt warmes Wasser und aus dem dritten fließt Zitrussaft.“ In diesem kleinen Lokal kann man Orangen aus der gesamten Gegend probieren und vergleichen. Nach diesem Durstlöscher machten wir uns zusammen auf nach Ozu. Dort angekommen, erkundeten wir die alten traditionellen Gassen und erreichten die Villa Garyu Sanso. Dieser wunderschöne Garten samt strohgedeckter Villa und einem über der Klippe hängenden Teepavilion war ein perfektes Beispiel für die japanische Ästhetik „Wabi-Sabi“ – Die Schönheit in der Imperfektion. Danach folgte ein Besuch der Burg Ozu, welche an sich im Vergleich zu vielen anderen Burgen eine feine Besonderheit besitzt. Wer über das nötige Kleingeld verfügt, kann dort für eine Nacht zum Burgherren werden und nicht nur übernachten, sondern auch an einer Zeremonie teilnehmen, welche eines Daimyos würdig ist. Für diejenigen, welche sich eher nach etwas Ruhe sehnen, sind die fast 20 renovierten alten Stadthäuser die elegantere Wahl.

Nächster Halt – Uchiko. Dieses charmante kleine Städtchen besticht mit einem wundervoll erhaltenen Altstadtviertel, welches romantischer nicht sein könnte. Hier reihen sich die alten Herrenhäuser der damals reichen Wachsindustrie der Region dicht aneinander. Im Gegensatz zur europäischen Wachsproduktion entstand hier Wachs durch pflanzliche Rohstoffe. Als schönes Mitbringsel ist der Omori-Kerzenladen geeignet, wo Sie sogar selbst Hand anlegen können.

Der Tag ging mit der Fahrt in die Udon-Nudel-Stadt Kotohira zu Ende, jedoch sollte eine Überraschung noch auf uns warten. Zum Erstaunen von Isao und mir fand in Kotohira direkt neben unserem traumhaften Ryokan ein japanisches Fest, genannt Matsuri, statt. Wir versuchten zuerst herauszufinden, was das Fest zu bedeuten hatte, denn die fröhliche Stimmung und die 5 Sänften samt Trommler ließen viel Spielraum zur Interpretation. Doch mit der Zeit verstanden wir, dass jeder Stadtteil Besitzer einer Sänfte ist. Sobald eine Sänfte eine andere herausgefordert hat, stoßen die zwei Sänften mit Ihren langen Holzbalken aufeinander und die Sänfte, welche Ihre Holzbalken über die gegenüberliegende schafft, gewinnt. Die Verlierer müssen dann ihre Sänfte nach Hause tragen und alle anderen liefern sich weiter hitzige Schlachten bei diesem Turnier, dessen Sieger vermutlich die höchste Ehre der Stadt gebührt. Solange blieben wir dann nicht bei dem Fest, da der verlockende Onsen des Ryokans und das schmackhafte Abendessen auf uns wartete.

Am nächsten Morgen unternahm ich noch einen Spaziergang zum Konpira-san, doch durch das regnerische Wetter blieb ein Besuch der Spitze des Berges aus. Nach dem Frühstück machten wir uns auf zum Highlight der Gegend – dem Iya-Tal. Unser Fahrer war ein Urgestein der Region und so konnte er nicht nur die engen Straßen in schwindelerregenden Höhen sicher und zügig befahren, sondern zeigte uns auch ganz nebenbei ein paar absolute Geheimtipps. Beispielsweise kennen zwar viele die berühmte Lianenbrücke Kazurabashi, doch nur 40 Minuten entfernt liegen zwei völlig in der Natur versteckte Brücken, weitab vom Tourismus. Danach folgte eine Fahrt mit kurzem Zwischenstop in Nagoro, welches für seine Strohpuppen bekannt ist. Ebenfalls hatten wir Glück und trafen die altehrwürdige Dame, welche all diese Puppen kreierte. Nach einem kurzen Plausch über die Geschichte dieses Ortes und einer kurzen Tanzeinlage in der ehemaligen Grundschule fuhren wir in ein kleines Restaurant, deren Leiterin ebenfalls eine ältere Dame ist. Falls Sie ebenfalls auf Shikoku sind, fragen Sie sie mal nach den ganzen Pokalen und Trophäen, welche sich in Ihrem Schrank befinden und ich wette Sie werden mehr als überrascht sein.

Auch besuchten wir die sich ständig windende Oboke-Schlucht. Zwar blieb für eine Bootsfahrt während meines Besuchs keine Zeit, aber dafür zeigte uns unser Fahrer ein Stück japanischer Geschichte. Das Ende der Heian-Zeit wurde 1180-1185 mit dem Genpei-Krieg besiegelt. Hier lieferten sich die Samuraifamilien Taira (Heike) und die Minamoto (Genji) eine erbitterte Schlacht, wobei der Minamoto Clan als Sieger hervorging, somit über Japan herrschte und ebenfalls das Kamakura-Shogunat gründete. Was mit den Verlieren passiert ist? Der Heike Clan musste die Flucht ergreifen und hat als Versteck das Iya-Tal gewählt. Die Lianenbrücken, ein einzelnes Samuraihaus und der Friedhof des Clans, welcher nur einem Ortskundigen bekannt ist, zeugen von dieser Geschichte. Wer mehr über diesen Krieg lesen möchte, dem kann ich das Buch „Heike Monogatari“ empfehlen, auch wenn Sie nun das Ende bereits kennen.

Doch genug der Geschichtsstunde, weiter ging unsere Reise zu einem weiteren "Urgstein" in der Region. Bei so vielen Hochbetagten im Alter von 80-90 Jahren und geistig und körperlich in bester Verfassung kam mir der Gedanke, ob das Iya-Tal nicht auch eine geheime „Blue Zone“ wie die Insel Okinawa sei. Bei dieser netten, gesprächigen und witzigen Dame unterhielten wir uns zuerst über eine Tasse Tee und auf einmal holte Sie zwei riesige Muschelhörner heraus, die wir natürlich direkt ausprobierten. Der Klang erinnerte stark an ein Warnsignal im Samurai-Krieg, wenn die Feinde näherkamen. Anschließend kehrten wir in unser Onsenhotel für den Abend ein.

Der letzte Tag auf Shikoku wurde wieder mit dem Besuch eines "Urgesteins" verbunden. Diesmal das Haus einer 89-jährigen Dame, welche im Regen uns auf ca. 1.000 Höhenmetern entgegenkam und meinte, wir sollen es uns doch bei ihr gemütlich machen, sie gehe noch etwas Tee pflücken. Wir trafen ihre Tochter, unterhielten uns bei einer Tasse frisch gebrühtem Tee und machten uns auf zum letzten Highlight der Gegend – Wakimachi. Dieses Dorf zählte einst zu den reichsten Regionen des Landes dank seines berühmten handwerks der Indigofärbetechnik und so reihen sich hier ebenfalls die edlen Herrenhäuser der Kaufmänner aneinander. Eine Übernachtung ist sogar in einem davon möglich. Ebenso können Sie an Indigo-Workshops teilnehmen. Nach dem Besuch in Wakimachi verabschiedete ich mich von Shikoku und fuhr wieder Richtung Honshu, tief mit dem Gedanken befangen, wann ich es endlich wieder nach Shikoku schaffen werde. Schließlich warten noch die 88 Tempel des Shikoku-Pilgerpfades und die Küstenstadt Kochi auf mich.

Um es kurz zu fassen: Wenn Sie den Kontakt zu authentischen Menschen, zu einzigartiger Natur, heißen Quellen, zu der reichen Geschichte des Landes und das ganz ohne den Übertourismus in Japan suchen, dann kann ich Ihnen wärmstens die kleinste der vier Hauptinseln empfehlen.

 

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