Wenn ich an meine letzte Reise nach Japan zurückdenke, dann sind es nicht die leuchtenden Großstädte, die imposanten Tempel oder das perfekte Sushi, die mir zuerst in den Sinn kommen, nein, es ist der Duft von frischem Holz. Ich denke an leisen Regen, der auf uralte Steine fällt. Und an eine Stille, die nicht leer, sondern voller Bedeutung war.
Zwei Orte haben sich dabei besonders in mein Gedächtnis eingebrannt: Das kleine Handwerkerstädtchen Inami, in dem ich selbst zur Schnitzkünstlerin wurde (oder es zumindest probiert habe), und der heilige Berg Koyasan, auf dem ich eine Nacht in einem Tempel verbrachte und bei Regen den vielleicht eindrucksvollsten Friedhof der Welt betrat. Es waren zwei völlig unterschiedliche Erlebnisse.
Inami – wo Holz zu sprechen beginnt
Kanazawa war ein Zwischenstopp auf meiner letzten Rundreise durch Japan. Die Stadt ist an sich schon ein kleines Juwel. Zwischen Foodmarket und Shoppingmalls treffen moderne Kunst, Teezeremonie und Samurai-Tradition aufeinander. Nachdem ich am Abend eine beeindruckende Tour durch das Geisha-Viertel mit abschließendem Dinner in einem authentischen Lokal erlebt hatte, ging es für mich am folgenden Tag nach Inami. Dieses kleine verschlafene Städtchen wirkt auf der Karte unscheinbar, aber selten hat mich ein Ort so schnell verzaubert.
Inami ist berühmt für seine Holzschnitzkunst. Es ist keine Touristenattraktion im klassischen Sinne, sondern ein Ort, an dem Handwerk noch wirklich gelebt wird. Somit ist es ein Ort, den man nicht durch Zufall entdeckt, sondern den man gezielt besucht. Auch wenn ich mich im Privaten nicht enorm für Holzschnitzkunst interessiere, reizte mich ein Besuch in diesem Ort sehr. Und ich wurde keineswegs enttäuscht.
Nachdem ich mit meinem Fahrer und Guide angekommen war, fiel mir zunächst die Stille auf. Keine Hektik wie in den Großstädten, kaum Autos, nur ein rhythmisches „Klack-Klack“, das aus den Werkstätten drang.
Zunächst besuchte ich das Atelier eines Holzschnitzmeisters, in dem verschiedene Drachenköpfe, Tempelverzierungen und filigrane Reliefs entstehen. Der Künstler empfing mich herzlich und erzählte mir mehr über seine Arbeit und seinen Werdegang in diesem Beruf. Mein Guide fungierte als Übersetzer, sodass ich auch Fragen stellen konnte.
Anschließend bekam ich selbst ein Stück Zedernholz in die Hand. Grob konnte man schon die Form des Sake-Bechers erkennen. Nun lag es an mir, mein eigenes Meisterstück zu fertigen. Unter Anleitung des Meisters begann ich, das Holz Schritt für Schritt nach meinem Geschmack zu bearbeiten. Zugegeben, anfangs war ich etwas unsicher. Doch der Künstler unterstützte mich mit geduldiger und liebevoller Anleitung sowie wertvollen Tipps.
Als der Becher schließlich fertig war, füllten wir Sake hinein und verglichen den Geschmack des Reisweins aus dem Holzbecher mit dem aus dem klassischen Sake-Glas. Sake aus Holz schmeckt einfach anders. Der Geschmack war weicher und ein bisschen floss der Geschmack des Holzes mit ein. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich meinen ganz eigenen Sakebecher nutzte. Er gehörte nicht nur mir, sondern ich hatte ihn auch eigenhändig hergestellt.
Koyasan – im Rhythmus des Regens
Ein paar Tage später erreichte ich den heiligen Berg Koyasan, der wie eine eigene Welt hoch oben in den Bergen liegt. Ich übernachtete in einem Tempel, in dem die Gäste von Mönchen willkommen geheißen werden. Mein Zimmer war schlicht mit Tatami-Matten und einem Futon eingerichtet. Auf dem Tisch stand bereits Tee bereit und von meinem Zimmer aus hatte ich einen Blick auf den Tempelgarten. Der Aufenthalt auf dem Koyasan ist nicht nur ein magisches Erlebnis, sondern auch eine Entschleunigung. Nach den vorherigen Großstädten war es hier unglaublich ruhig. Es war, als hätte jemand den Lärm der Welt abgestellt.
Am Abend wurde ein Shōjin-Ryōri-Menü serviert. Dabei handelt es sich um die traditionelle, rein pflanzliche Küche der buddhistischen Mönche. Es besteht aus kleinen, kunstvoll angerichteten Speisen, die nicht nur satt machen, sondern auch Respekt vor der Natur ausdrücken.
Nach dem Essen machte ich mich auf den Weg zur nächtlichen Tour über den Okunoin-Friedhof, der zu den größten und bedeutendsten in ganz Japan zählt. Es fing an zu nieseln, doch das hielt mich nicht davon ab, die Tour zu machen.
Der Guide wartete bereits – ruhig und sachlich, ohne große Show. Wir gingen durch den dunklen Wald zwischen gewaltigen Zedern und über Steinpfade, die seit Jahrhunderten betreten werden. Über 200.000 Grabsteine säumen die Wege: von alten Samurai-Familien, von Mönchen, von Kindern und von jenen, die niemand mehr kennt.
Die Geschichten, die ich hörte, waren sehr bewegend. Beispielsweise erfuhr ich von Statuen mit roten Lätzchen, die für verstorbene oder ungeborene Kinder stehen, und von Schreinen, in denen Reis und Wasser als Gabe dargebracht werden. Es war kein Friedhof im westlichen Sinne. Es war kein Ort des Endes, sondern ein Ort, an dem man Teil von etwas Größerem wird.
Am Ende der Tour blieb der Guide stehen. Inmitten des Regens begann er leise, einen buddhistischen Sutra zu singen. Es gab kein Licht, keine Bühne – nur dieser einfache Klang inmitten der Dunkelheit. Ich stand still, hörte zu und hatte das Gefühl, dass für einen Moment alles um mich herum den Atem anhielt.
Danach begab ich mich zurück zum Tempel. Der Morgen begann früh für mich, denn ich wollte an der Morgenandacht teilnehmen.
Am nächsten Morgen klopfte einer der Mönche an meine Tür und holte mich zur Andacht ab. In der Gebetshalle nahm ich mit den anderen Gästen auf den Bänken Platz, um der Zeremonie beizuwohnen. Die Mönche sangen Sutren, während der Duft von Räucherwerk in der Luft lag. Es handelte sich nicht um eine Show für Touristen, sondern um eine gelebte Praxis. Nach der Andacht nahm ich noch das Frühstück zu mir und machte mich auf den Weg zurück in die Großstadt Osaka.
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