Meine Reise begann am Akan-See. Der See lag still vor mir, die Wälder waren dicht und über allem ragte der Vulkan Oakan, der im Abendlicht golden schimmerte. Schon beim ersten Atemzug spürte ich die frische, klare und kühle Luft, die so anders war als die schwüle Sommerhitze in Zentraljapan.
Am Abend betrat ich das Theater der Ainu. Der Raum war dunkel, nur ein Feuer flackerte in der Mitte und warf tanzende Schatten an die Wände. Trommeln setzten ein, erst leise, dann immer kraftvoller, und Stimmen erhoben sich, rau und rhythmisch. Tänzer bewegten sich über den Holzboden. Ihre Bewegungen erzählten Geschichten von der Jagd, von den Göttern und von der Natur, die hier verehrt wird. Ich saß da, hörte zu, ließ die Klänge durch mich hindurchfließen und hatte für einen Moment das Gefühl, in eine andere Zeit versetzt worden zu sein.
Shiretoko – wo die Wildnis atmet
Von Akan aus führte mich der Weg nach Shiretoko. Schon die Fahrt dorthin war ein Erlebnis. Je weiter wir fuhren, desto stiller wurde es, bis die Straßen endeten und nur noch die Wildnis übrig blieb.
Am nächsten Tag bestieg ich ein Schiff, das entlang der Halbinsel hinaus aufs Meer fuhr. Ich stand an der Reling und sah, wie steile Felsen aus dem Wasser ragten und Wasserfälle direkt von den Klippen ins Meer stürzten. Über mir zogen Adler ihre Kreise. Der Wind war kühl, das Salz lag in der Luft und ich konnte mich an dieser unberührten Landschaft kaum sattsehen.
Als die Nacht hereinbrach, begann die Safari. Der Wagen rollte langsam durch die Dunkelheit und plötzlich blitzten im Lichtkegel der Scheinwerfer Augen auf. Ein Fuchs stand am Waldrand, neugierig, aber auch vorsichtig. Eine Eule saß lautlos auf einem Ast, bevor sie davonflog, als hätte sie den Boden nie berührt. Rehe huschten vorbei, so schnell, dass ich kaum folgen konnte. Hier gibt es auch Schwarzbären. Wir haben keinen gesehen, aber allein der Gedanke, dass sie irgendwo in der Dunkelheit sein könnten, ließ mein Herz schneller schlagen.
Am nächsten Morgen wanderte ich zu den Shiretoko Five Lakes. Die Stege führten mich durch Wald und Schilf und plötzlich lag ein See still vor mir. Er war so klar, dass sich Himmel und Wolken darin spiegelten. Jeder der fünf Seen hatte seine eigene Stimmung, mal geheimnisvoll, mal weit und hell. Ich ging langsam, hörte nur meine Schritte und den Wind und spürte, wie die Ruhe dieses Ortes auf mich überging.
Aomori – zwischen Burgträumen und Meeresrauschen
Nach Tagen in der Natur kam ich in Aomori an. Mein Hotel lag direkt am Meer. Ich setzte mich ans Fenster, hörte die Wellen rauschen und sah, wie das Wasser im Licht der Sonne glitzerte. Von hier aus fuhr ich zum Hirosaki Castle. Schon der Anblick des Burgturms zwischen den grünen Bäumen war beeindruckend. Diesmal war es jedoch noch besonderer, denn der Turm wird aktuell renoviert. Dafür wurde er vor einigen Jahren komplett von seinem Fundament gelöst und mit unglaublicher Präzision auf Schienen verschoben, sodass das Fundament erneuert werden konnte. Ich stand davor und staunte darüber, wie es möglich ist, ein Bauwerk dieser Größe einfach um einige Meter zu versetzen, ohne dass es dabei seine Würde verliert. Ich schlenderte durch den Park, über kleine Brücken und vorbei an stillen Wassergräben. Dabei stellte ich mir vor, wie es hier im Frühling aussehen muss, wenn Tausende Kirschblüten den Himmel rosa färben und das Schloss trotz der Arbeiten in voller Pracht erstrahlt.
Am Nachmittag kehrte ich ins Hotel zurück und ließ mich im Spa verwöhnen. Bei einer Abhyanga-Massage versank ich im Duft warmer Öle und für eine Weile schien die Zeit stillzustehen. Nach den ausgiebigen Wanderungen und Entdeckungen war dies eine willkommene Entspannung. Am Abend war die Stimmung dann das genaue Gegenteil. Ich saß in einem kleinen Izakaya, eng zwischen Einheimischen. Auf dem Tisch stapelten sich Teller mit Yakitori und Tempura, Gläser klirrten, Stimmen wurden lauter und dann begann eine Comedy-Show, die alle zum Lachen brachte. Ich lachte mit und spürte, wie herzlich und lebendig Japan ist.
Sendai – eine Stadt mit berührender Geschichte
Sendai war die letzte Station. Gemeinsam mit meinem Guide besuchte ich die Arahama-Grundschule. Das schlichte Gebäude bot während des Tsunamis 2011 vielen Menschen Schutz. Der damalige Direktor stand vor uns und erzählte von diesem Tag. Er sprach ruhig und ohne Pathos, und doch war jedes seiner Worte schwer. Ich spürte, wie die Stille im Raum dichter wurde, und hatte das Gefühl, dass ich diesen Moment niemals vergessen werde.
Später zeigte mir mein Guide die Mausoleen von Zuihoden. Zwischen hohen Zedern führte ein stiller Weg hinauf und wir standen vor den reich verzierten Gräbern des Date-Clans. Goldene Ornamente, farbenprächtige Lackierungen und filigrane Schnitzereien schmückten die Gebäude, die wie kleine Schatztruhen im Wald wirkten. Ich ging langsam durch die Anlage, betrachtete jedes Detail und hatte das Gefühl, die Pracht vergangener Jahrhunderte noch immer zu spüren. Gleichzeitig lag eine Ruhe über dem Ort, die fast meditativ wirkte – ein Ort, an dem Geschichte und Natur eine stille Einheit bilden.
Von dort aus ging es weiter zu den Ruinen des Sendai Castle. Die Burg selbst steht nicht mehr, doch die gewaltigen Steinmauern sind erhalten und lassen erahnen, wie imposant die Anlage einst über der Stadt thronte. Ich trat an den Aussichtspunkt, von dem aus man weit über Sendai blicken kann. Unter mir lag die Stadt: lebendig und voller Bewegung, und doch wirkte sie aus dieser Höhe friedlich und klar. Neben mir stand die Statue von Date Masamune, dem berühmten einäugigen Kriegsherrn, der diese Stadt gegründet hat. Der Blick der Statue geht entschlossen in die Ferne – ein Sinnbild für Mut und Aufbruch. Ich verweilte lange dort, ließ mir den Wind um die Nase wehen und spürte den starken Kontrast zwischen der hier greifbaren Vergangenheit und dem modernen Leben unter mir.
Der Zauber des Nordens
Auf dieser Reise habe ich gespürt, dass Hokkaido und Tohoku ein ganz anderes Japan sind. Hier wird es im Sommer nicht drückend heiß, sondern der Wind bleibt kühl und die Luft klar. Es sind keine Orte, die mit Lautstärke beeindrucken, sondern mit Stille, mit unvergesslichen Momenten und Begegnungen, die nachwirken.
Ich erinnere mich an den Klang der Trommeln am Akan-See, an die Augen eines Fuchses in der Nacht von Shiretoko, an das Lachen im Izakaya von Aomori und an die leise Stimme des Schuldirektors in Sendai. Es sind Bilder, die bleiben, lange nachdem die Reise zu Ende ist.
Es ist ein Japan, das nicht nur bereist, sondern das einen berührt und begleitet wird.

